Äste knacken, Holzschnitzel knirschen. Adina Lauer geht voran. Bodanrück, Samstag, 11 Uhr, 15 Besucher. Kostenlose Führung durch die Waldruh St. Katharinen. Frau Lauer spricht von nährreichem Boden und über den Mischwald. Für 99 Jahre aus der regelmäßigen Bewirtschaftung des gräflichen Unternehmens herausgenommen. Buchen, Eschen, Eichen, Lärchen, Kiefern, Fichten. Dazwischen Waldmeister, Storchschnabel, Brombeere. Normaler Waldbewuchs.
„Der Name St. Katharinen“, sagt Frau Lauer, „geht auf das gleichnamige Kloster zurück, das sich früher hier befand.“ Ringsum Baumstämme wie gotische Säulen. Die Kronen geschlossen wie ein Gewölbe. Eine Kathedrale aus Grün. Frau Lauer erklärt: „630 ausgewählte Bäume; bis zu zwölf Bestattungen an einem Baum. Keine anonymen Bestattungen, dafür Plaketten mit Namen.“ In den Bäumen zwitschern Vögel. Die Gruppe steht an einem Andachtsplatz. Ein Messingkreuz und Holzbänke. Unter dem Hang schimmert der See. Einer sagt: “Ist an Baum 18 noch etwas frei? Als Segler bin ich gerne am Wasser.”
Frau Lauer erläutert: „Blumen bei der Beisetzung gestattet, Kunststoff und Metall unerwünscht.“ Später vor der Kapelle. Für Trauerfeiern errichtet, aber auch als Schutzraum gedacht. Schlicht, geradlinig, klar.
Und dann trägt sie ein Gedicht von Erich Kästner vor.
Es heißt „Die Wälder schweigen“.
Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder.
Man sieht es nicht. Man liest es nur im Blatt.
Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder.
Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder.
Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen.
Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch.
Man träumt von Äckern und von Pferdeställen.
Man träumt von grünen Teichen und Forellen.
Und möchte in die Stille zu Besuch.Man flieht aus den Büros und den Fabriken.
Wohin, ist gleich! Die Erde ist ja rund!
Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken,
und wo Spinnen seidne Strümpfe stricken,
wird man gesund.Die Seele wird vom Pflastertreten krumm.
Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden
und tauscht bei ihnen seine Seele um.
Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.
Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.
„Man geht immer mit einem anderen Gefühl nach Hause, als man gekommen ist“, sagt Frau Lauer, „nicht umsonst gehen die Menschen so gerne in den Wald.” Sanft spielt der Wind mit den Blättern. „Alles verändert sich”, hat Goethe geschrieben, „aber dahinter ruht Ewiges.” Und, „ja“, sagt Frau Lauer, „an Baum 18 sei noch Platz.“