Warum ich hier bin? Ganz ehrlich: aus ökonomischen Gründen. Von Beruf bin ich Elektromechaniker. In der Werkstatt, die ich mit einem Partner in Polen führe, gibt es in den Wintermonaten nur wenig Arbeit. Zwei Familien können davon nicht leben. Deshalb komme ich nach Bodman. Die Löhne in Polen sind viel niedriger. Essen, Benzin kostet fast genau so viel wie in Deutschland. Hier verdiene ich drei- bis viermal mehr als zu Hause.
1989 und folgende
Zum ersten Mal gekommen bin ich 1990. Wir hatten über Nacht ein neues System. Der Betrieb, in dem ich gearbeitet hatte, funktionierte nicht mehr. Spoldzielnia Wielobranzowa. Große Baufirma. Viele Mechaniker, Elektriker, Maler, Handwerker. Im ganzen Land war Revolution. Wir hatten keine Arbeit. Alles war unsicher. Mein Sohn war damals zwei, meine Tochter sieben. Mein Bruder lebte schon in der Nähe von Stuttgart. Er war bei Solidarnosc, kam deshalb zwei Monate ins Gefängnis und musste das Land danach aus politischen Gründen verlassen. Ich war auch bei Solidarnosc. Ich habe Repressalien erlebt, aber ich wurde nie verhaftet. Wir haben für ein besseres Leben gekämpft. Für die Zukunft unserer Familien. Das Wichtigste ist, dass es der Familie gut geht.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus habe ich meinen Bruder besucht. Ich habe gesagt: „Wenn du Arbeit für mich findest, komme ich.“ Mein Bruder hatte von Graf Bodman gehört. Also habe ich mich angeboten. Ich musste viel lernen. Hagelnetze und Zäune bauen. Pflanzen, Bäume schneiden. Nach und nach habe ich verstanden, worum es geht. Pilze und Bakterien. Wann man sich Sorgen machen muss um die Bäume. Zum Beispiel wenn der Winter mild ist und die Bäume zu früh im Saft stehen. Es ist mein zweiter Beruf geworden. Am liebsten arbeite ich mit Äpfeln, gerne auch mit Trauben, mit Kirschen habe ich nicht viel zu tun; die meiste Arbeit passiert im Sommer, wenn ich nicht hier bin.
Arbeiten in Bodman
Wenn wir nach Bodman fahren, nehmen wir viel Essen mit. Eingelegtes Gemüse und Obst, Pierogi. Manchmal lädt uns der Baron zum Essen ein. Das freut uns. Wir sind Teil des Betriebes. Wir sind meistens zu fünft. Die Fahrt dauert ungefähr zwölf Stunden, wenn es nicht zu viele Baustellen auf der Strecke gibt. Ich komme immer wieder gerne. Der See ist schön. Die Landschaft ist schön. Das Klima ist gut. Im Winter ist es nicht so kalt wie in Polen. Auch die Menschen sind anders. Wenn man auf der Straße geht, grüßen sie, auch wenn sie einen nicht kennen. Hallo. Guten Tag. Wie geht es? In Polen grüßt man nur Leute, die man kennt. Meine Frau hat oft gehadert, wenn ich wegfuhr. Inzwischen hat sie sich daran gewöhnt. 2013 haben wir zum ersten Mal gemeinsam am Bodensee Urlaub gemacht. Wir waren in Lindau, Bregenz, Konstanz, auf der Insel Mainau. Der Urlaub war super. Auch meinen Sohn Pawel habe ich schon zum Arbeiten mitgebracht. Ob ich darüber nachdenke, dass ich Saisonarbeitskraft bin? Ich weiß nicht, was deutsche Obstarbeiter verdienen. Wenn der Baron deutsche Obstarbeiter finden würde, die besser wären als ich, wäre ich vermutlich nicht hier. Ich profitiere. Bertram und der Baron profitieren. Alles gut. Das ist das moderne Europa. Wir müssen dorthin gehen, wo das Geld ist. Wie lange ich das noch mache? Ich sage: Ich mache das so lange es geht. Hoffentlich bis ich in Rente gehe.
(Adam Chabior, 57, gelernter Elektromechaniker, lebt in Wabrzezno, 140 Kilometer südlich von Gdansk, und kommt seit 1990 nach Bodman)